Die UNO-Behindertenrechtskonvention wurde 2006 von der Generalversammlung der UNO verabschiedet und 2014 von der Schweiz ratifiziert. Sie legt in Artikel 27 fest, dass Menschen mit Behinderungen das gleiche Recht auf Arbeit haben wie Menschen ohne Behinderung (https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2014/245/de#art_27). Vertragsstaaten sind verpflichtet, dass dieses Recht im jeweiligen rechtlichen Rahmen verankert ist, und das Recht auf Arbeit mit konkreten Schritten verwirklicht wird. Der General Comment 8 führt aus, wie der Art. 27 laut Ausschuss der UNO für die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu verstehen ist (CRPD/C/GC/8: General comment No. 8 (2022) on the right of persons with disabilities to work and employment | OHCHR): Es geht dabei nicht nur um den Zugang zum Arbeitsmarkt, sondern das Recht umfasst alle Aspekte des Arbeitslebens von Rekrutierung bis Ende des Arbeitsverhältnisses. Neben der Wiederholung von arbeitsbezogenen Menschenrechten aus anderen internationalen Vereinbarungen (z.B. UNO-Pakt I) wie der Schutz der Gesundheit, das Recht Gewerkschaften beizutreten, oder der Schutz vor Zwangsarbeit, spezifiziert der General Comment das Diskriminierungsverbot und geht auf die spezifische Situation von Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt ein.
Von Direkter Diskriminierung (1) wird gesprochen, wenn beispielsweise ein Arbeitgeber eine Bewerberin wegen einer Behinderung nicht einstellt. Indirekte Diskriminierung (2) liegt vor, wenn Barrieren nicht abgebaut werden und so einer Person mit Behinderung der Zugang zu einer Gelegenheit unmöglich ist. Das Verwehren von angemessenen Vorkehrungen (3) und Belästigung (4) stellen auch Diskriminierungen dar. Schliesslich können Angehörige von Menschen mit Behinderungen auf Grund ihrer Beziehung zu letzteren diskriminiert werden (Diskriminierung durch Assoziation (5)).
Geschützte Arbeitsplätze in Institutionen sind gemäss Ausschuss in verschiedener Hinsicht nicht mit der UNO-BRK vereinbar. Institutionen gehen gemäss dem UNO-Ausschuss von einem defizitorientierten Bild von Menschen mit Behinderungen aus, trennen Menschen mit Behinderungen vom Rest der Gesellschaft, fördern kaum den Übergang in den regulären Arbeitsmarkt und Werkstattbetriebe bezahlen den Beschäftigten meist keinen angemessenen Lohn für die Arbeitsleistung. Vertragsstaaten sind daher angehalten konsequent die Inklusion in den regulären Arbeitsmarkt zu fördern.
Als angemessene Vorkehrungen werden notwendige und angepasste individuelle Veränderungen und Unterstützungen verstanden, welche es einer Person mit Behinderung erlaubt, ihre Arbeit gleich wie andere Personen auszuführen. Die Vorkehrungen dürfen dabei nicht zu unverhältnismässigem Aufwand auf Seiten des Arbeitgebers und/oder der anderen Mitarbeitenden führen. Die Anpassungen sollen zwischen betroffener Person und Arbeitgeberin besprochen werden. Falls die beste Lösung für den Arbeitgeber unverhältnismässig ist, sollen gemeinsam andere Lösungen gesucht werden.
Die UN-BRK wurde von der Schweiz zehn Jahre nach Inkrafttreten des Behindertengleichstellungsgesetzes (BehiG) ratifiziert. 2015 wurde das BehiG evaluiert und unter anderem festgestellt, dass es noch kaum Auswirkungen auf das Recht auf Arbeit hatte. Im ersten Bericht zur Behindertenpolitik des Bundes (2018) wurde deshalb für die kommenden Jahre ein Fokus auf die Gleichstellung in der Arbeit gelegt. Bis 2022 wurde das Wissen zum Thema konsolidiert, Pilotprojekte zur Förderung von inklusiven Arbeitsumfeldern unterstützt und evaluiert, sowie Akteure aus Bundesverwaltung, Sozialpartnern, Zivilgesellschaft und Wissenschaft miteinander vernetzt. Die Evaluation dieser Aktivitäten hat gezeigt, dass die erzielten Fortschritte noch zu wenig weit gingen und noch grosser Bedarf bei der Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen in der Arbeit besteht. Bei der Prüfung des ersten Staatenberichts der Schweiz durch den UN-Ausschuss wurden von letzterem weiterhin grosse Lücken im Diskriminierungsschutz und in der Gleichstellung festgestellt. Der Bundesrat hat auch vor diesem Hintergrund 2023 beschlossen ein weiteres Schwerpunktprogramm im Bereich Arbeit zu lancieren, sowie eine Teilrevision des Behindertengleichstellungsgesetzes vorzuschlagen.
Das Schwerpunktprogramm soll bis 2026 die erarbeiteten Massnahmen zur Förderung inklusiver Arbeitsumfelder breiter bei Arbeitgebenden bekannt machen, öffentliche Arbeitgeber stärker in ihrer Vorbildfunktion unterstützen und den Übergang vom ergänzenden zum allgemeinen Arbeitsmarkt erleichtern. Die Teilrevision des BehiG schlägt dazu eine klarere Verankerung des Diskriminierungsverbotes, die Verpflichtung aller Arbeitgebenden zu angemessenen Vorkehrungen und die Stärkung der Rechte von Menschen mit Behinderungen im Bereich Arbeit vor. Bei Annahme der Vorlage durch das Parlament würden Arbeitgebende nicht nur eingeladen und unterstützt, die UN-BRK im Bereich Arbeit umzusetzen, sondern dazu verpflichtet.
Ueli Streit, Leiter Diversity & Inclusion
Ueli Streit (Professionell Business Coach CIP München) ist Leiter Diversity & Inclusion bei HMS. Er engagiert sich für ein inklusives Arbeitsumfeld in Organisationen und setzt sich für die laufende Weiterentwicklung der Messbarkeit von Diversität und Inclusion ein.
Auch in der EU wird der rechtliche Rahmen und die Richtlinien stetig an die Vorgaben der UN-BRK angepasst. Eine Verpflichtung zu angemessenen Vorkehrungen besteht in der EU bereits seit 2000. Sie wird von den Mitgliedsstaaten unterschiedlich umgesetzt und soll in den nächsten Jahren wieder verstärkt in den Fokus rücken. Ausserdem findet sich in den Gesetzen vieler EU-Länder eine Quotenregelung bezüglich Mitarbeitenden mit Behinderungen.
Eine Entwicklung, die auch für viele Schweizer Arbeitgebende relevant werden könnte, sind die EU-Richtlinien betreffend der rechtlich operationalisierten Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (2022/2464), sei es, weil sie Tochterunternehmen von Unternehmen in EU-Ländern haben (oder umgekehrt in EU-Ländern Tochterunternehmen haben), oder weil sie Zulieferer von solchen sind. Immer mehr Schweizer Arbeitgebende sind daher zu Nachhaltigkeitsberichten beitragen. Ab den kommenden Jahren sollen auch Verpflichtungen zur Berichterstattung über die Situation von Mitarbeitenden mit Behinderungen kommen. Wenn keine Anstrengungen zur Förderung von inklusiven Arbeitsumfeldern oder allgemein zur Gleichstellung von Mitarbeitenden mit Behinderungen gemacht werden, könnte das daher in Zukunft auch negative Konsequenzen für die Geschäftsbeziehungen mit Partnern in der EU haben.
Schweizer Unternehmen sind zurzeit noch wenig betroffen von den Verpflichtungen, die sich aus der UN-BRK ergeben. Wie oben erläutert, könnten in Zukunft aber direkte und indirekte Verpflichtungen auch Schweizer Unternehmen betreffen.
In Zeiten des Fachkräftemangels und der Notwendigkeit innovativ auf globale wirtschaftliche Veränderungen reagieren zu müssen, macht es schon länger Sinn, die Beschäftigung von Mitarbeitenden mit Behinderungen und die Inklusion im Betrieb zu fördern. Dies eröffnet den Zugang zu einem grösseren Pool an potenziellen Arbeitskräften.
Grundsätzlich eignet sich jeder Betrieb zur Anstellung von Personen mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung – nicht aber jeder Arbeitsplatz für jede Person. Die kantonalen IV-Stellen beraten gerne zu den Möglichkeiten.
Es ist nachgewiesen, dass ein inklusives Arbeitsumfeld Innovation fördert und zur Reduktion von Krankheitstagen beiträgt [1].
Arbeitgebende können ein inklusives Arbeitsumfeld fördern, indem sie sich klar für Vielfalt und Inklusion positionieren. Die Gleichstellung von Mitarbeitenden mit Behinderungen sollte dafür Teil der strategischen und operativen Ziele sein und mit verschiedenen Massnahmen vorangetrieben werden. Dazu gehören gezielte Schulungen für Führungskräfte und Teams, die Benennung von Ansprechpersonen, Barrierefreiheit und flexible Arbeitsmodelle.
2025 wird das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen eine Toolbox mit getesteten und wirksamen Instrumenten publizieren. Viele dieser Instrumente können schon jetzt genutzt werden. Eines davon ist der Inclusion-Check, mit dem eine genaue Situationsanalyse bezüglich Inklusion im eigenen Unternehmen vorgenommen werden kann. Mittels einer Mitarbeitendenumfrage werden die Wahrnehmungen und Bedürfnisse aller Mitarbeitenden unabhängig von ihren individuellen Merkmalen (z.B. Geschlecht, Nationalität, körperliche Beeinträchtigungen) oder Lebenssituationen (sexuelle Orientierung, Bildungsstand, Religion) erfasst. Darauf aufbauend können gezielt Massnahmen geplant und durchgeführt werden. Auch für die Planung von Massnahmen gibt es in der Toolbox schon verschiedene Beratungsangebote.
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Die UN-BRK verankert das Recht auf Gleichstellung in der Arbeit für Menschen mit Behinderungen in den internationalen Menschenrechten. Dies hat Einfluss auf den rechtlichen Rahmen in der Schweiz und in der EU und betrifft dadurch indirekt und vermehrt direkt Schweizer Unternehmen. Der Bund stellt mit verschiedenen Partnern Unterstützungsmöglichkeiten für grosse Unternehmen und auch KMUs zur Verfügung. Diese zu nutzen macht in erster Linie wirtschaftlich Sinn für Unternehmen und hilft auch künftigen Verpflichtungen bereits zuvorzukommen.
Matthias Leicht-Miranda ist noch bis Ende Jahr 2024 Stv. Leiter des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (EBGB) und wird ab Januar 2025 den Direktionsstab der IV-Stelle Bern führen. Seit 2018 leitet er den Schwerpunkt Arbeit der Behindertenpolitik des Bundes. Auch in seinen universitären Ausbildungen hat er sich immer mit den Themen Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen und Arbeitsmarktintegration beschäftigt. Er hat einen Abschluss in Gesellschaftswissenschaften der Universität Fribourg (lic. soc. rer., 2006), ein Master in Disability Studies der Universität Leeds (M.A., 2011) und einen Master in Verwaltungswissenschaften der Universität Birmingham (MPA, 2023)
[1] Böhm, S. A. & Dwertmann, D. J. G. (2017). Climate for inclusion as a mechanism to increase innovation: The effect of disability diversity on the continuous improvement mechanism at a premium car manufacturer. Working Paper der Universität St. Gallen.
Böhm, S. A. & Baumgärtner, M. K. (2016). Gesünder führen. Harvard Business Manager, 38: 6-9