In den letzten Jahrzehnten hat die Bedeutung von Diversität am Arbeitsplatz erheblich zugenommen. Gesellschaftliche Entwicklungen wie zunehmende Migration und eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen führen dazu, dass Teams immer diverser werden. Auch Alters- und Behinderungsdiversität gewinnt aufgrund einer älter-werdenden Belegschaft an Relevanz. Diversität ist aus verschiedenen Gründen wünschenswert: Moralisch aufgrund von Gerechtigkeitsaspekten und wirtschaftlich, da ein diverserer Talentpool Wettbewerbs- und Innovationsvorteile verspricht. Studien zeigen, dass diverse Teams oft kreativer sind und komplexe Probleme besser lösen können, womit sie einen massgeblichen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten.
Gleichzeitig kann Diversität im Team zu Herausforderungen wie Konflikten und Kommunikationsproblemen führen. In der Wissenschaft und Praxis hat sich daher die Erkenntnis durchgesetzt, dass Diversität allein nicht ausreicht. Sie muss aktiv gestaltet werden, um nachhaltigen Erfolg zu garantieren. Ein entscheidender Faktor dabei ist das Inklusionsgefühl der Mitarbeitenden: Nur wenn sich alle Mitarbeitenden inkludiert fühlen, können die Vorteile der Diversität optimal genutzt und die Herausforderungen gemeistert werden. Doch was versteht man unter Inclusion? Eine wissenschaftliche Antwort auf diese Frage bietet der St.Gallen Inclusion Index.
Inclusion bedeutet, dass alle Mitarbeitenden das Gefühl haben, akzeptiert und wertgeschätzt zu werden, unabhängig von ihren individuellen Unterschieden. Sie fühlen sich als gleichberechtigter Teil des Teams, können authentisch sein und haben gleiche Chancen auf Teilhabe und Erfolg. Diese Aspekte von Inclusion sind nicht nur individuell, sondern auch auf der Teamebene von Bedeutung.
Der St.Gallen Inclusion Index (SGII) ist ein Ansatz zur Messung von Inclusion, der auf zwei Ebenen und vier Dimensionen basiert: Zugehörigkeit und Authentizität auf individueller Ebene sowie Chancengleichheit und Perspektivenvielfalt auf Teamebene.
Am Center for Disability and Integration der Universität St.Gallen (CDI-HSG) wurde der SGII entwickelt, um Inclusion messbar und damit gestaltbar zu machen. Ein Beispiel für die Anwendung des SGII ist die Zusammenarbeit mit der Deutschen Krankenversicherung BARMER. Seit 2020 wird die repräsentative Studie „social health@work“ zur sozialen Gesundheit am Arbeitsplatz durchgeführt. Innerhalb dieser Studie wurde der SGII eingesetzt, um die Situation von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsplatz besser zu verstehen. Menschen mit Behinderungen sind am Arbeitsmarkt oft benachteiligt und haben niedrigere Beschäftigungsquoten, geringere Arbeitsplatzsicherheit und niedrigere Löhne. Obwohl sie häufig gut ausgebildet sind und wertvolle Arbeitskräfte darstellen, bestehen immer noch Vorurteile und eine Defizitperspektive gegenüber Menschen mit Behinderungen. Die Studie „social health@work“ zeigt, dass sich Mitarbeitende mit Behinderung oft weniger inkludiert fühlen als ihre Kollegen und Kolleginnen ohne Behinderung, insbesondere bei psychischen Behinderungen wie Angststörungen oder Depressionen. Um die Inclusion von Menschen mit Behinderungen zu fördern, sind verschiedene Massnahmen erforderlich. Dazu gehören Sensibilisierungstrainings für Führungskräfte und Mitarbeitende, Anpassungen am Arbeitsplatz und flexible Arbeitszeitmodelle. Auch Mentoring-Programme und Netzwerke können dazu beitragen, dass sich Menschen mit Behinderungen besser inkludiert fühlen.
In der Praxis kann der SGII von Unternehmen eingesetzt werden, um Unterschiede im Inklusionsgefühl verschiedener Mitarbeitendengruppen zu identifizieren. Diese Ergebnisse ermöglichen eine gezielte und evidenzbasierte Entscheidung für Massnahmen, von denen die Mitarbeitenden des Unternehmens besonders profitieren können. Ausserdem kann mit dem SGII die Umsetzung von Inklusionsmassnahmen begleitet werden, um den Erfolg der Massnahmen zu überprüfen und Entwicklungen über die Zeit evidenzbasiert abzubilden.
Ab Mitte August 2024 steht der Inclusion-Check über die Webseite www.inclusion-check.ch zur Verfügung. Das Herzstück des Inclusion-Checks bildet der St.Gallen Inclusion Index. Entwickelt wurde der Inclusion-Check von Health & Medical Service AG in Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Partner Prof. Dr. Böhm vom Center for Disability and Integration (CDI-HSG) der Universität St. Gallen sowie finanziell unterstützt vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (EBGB).
Der Inclusion-Check gibt mittels einer anonymen Umfrage einen Einblick in den aktuellen Stand der Inclusion in einer Organisation und zeigt möglichen Handlungsbedarf auf.
Ueli Streit, Leiter Diversity & Inclusion
Ueli Streit (Professionell Business Coach CIP München) ist Leiter Diversity & Inclusion bei HMS. Er engagiert sich für ein inklusives Arbeitsumfeld in Organisationen und setzt sich für die laufende Weiterentwicklung der Messbarkeit von Diversität und Inclusion ein.
Diversität bietet viele Chancen, aber erst durch aktive Inclusion können diese voll ausgeschöpft werden. Der St.Gallen Inclusion Index bietet Unternehmen eine wertvolle Grundlage, um Inclusion messbar zu machen und gezielt zu fördern. Nur durch ein inklusives Arbeitsumfeld können alle Mitarbeitenden ihr volles Potenzial entfalten und zum Erfolg des Unternehmens beitragen. In einer zunehmend diverseren Arbeitswelt ist dies nicht nur eine moralische Verpflichtung, sondern auch ein wirtschaftlicher Vorteil. Indem Unternehmen Diversität nicht nur akzeptieren, sondern aktiv gestalten, können sie die Herausforderungen meistern und die Chancen nutzen, die eine vielfältige Belegschaft bietet. Mit dem Inclusion-Check haben jetzt alle Organisationen in der Schweiz die Möglichkeit, die Inclusion zu messen.
Dieser Beitrag basiert auf dem folgenden Artikel, der in PERSONALquarterly erschienen ist. Weitere Informationen zum SGII und den Studienergebnissen sind im Artikel zu finden:
Boehm, S. A., Schertler, M. & Glumann, N. V. (2024). Von Diversität zu Inklusion: Aktuelle Forschung zu Behinderung und Telearbeit. PERSONALquarterly, 76, 10-17.